Wir haben die griechische Tragödie[1],
in Brüssel aufgeführt, sehr intensiv und extensiv durch die Medien miterlebt,
auch den Zorn einiger Staaten, besonders Griechenlands, auf Deutschland. Bei
dem europäischen Versuch, Griechenland vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu
retten, scheint es so auszusehen wie im Privaten: Bei Geld hört die
Freundschaft auf. Fest steht: Wie so häufig müssen auch in Hellas in erster
Linie die kleinen Leute leiden, während die Wohlhabenden rechtzeitig ihr Geld
in Sicherheit bringen konnten. Wie also können in den nächsten Wochen und
Monaten der Kollaps und die politischen und sozialen Folgen verhindert werden?
Die Höhe der angelaufenen griechischen Schulden ist
einfach zu hoch, als sie von diesem Land allein geschultert werden könnten.
Viele Fehler sind von allen Seiten in den letzten Jahren gemacht worden, von
den Gläubigern und dem Schuldner Griechenland. Angesichts des aufgezwungenen
Sparkurses erheben sich berechtigte Fragen: Wie soll die griechische Wirtschaft
jemals wieder wachsen können, wenn der Kapitalverkehr stark eingeschränkt ist,
die griechischen Banken nicht voll funktionieren können, der Zahlungsverkehr und
die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen dort nicht möglich ist. Durch
Anhebung der Mehrwertsteuer verteuern sich in der Regel die Preise. Gleichzeitig
muss der Staat sparen (insbesondere durch Entlassungen, Reduktion der Renten,
Kürzungen der Verteidigungsausgaben). Wie will man die weitere Drosselung der Binnennachfrage
vermeiden – neben dem Rückgang beispielsweise der so wichtigen Einnahmen durch
den Tourismus? Wie will man die Steuerehrlichkeit der Griechen fördern, wenn
man dort – ohne effiziente Finanzverwaltung – die großen potentiellen
Steuerzahler verschont? Will man wirklich die junge, intelligente Generation
Griechenlands, die in Folge jahrelanger politischer Versäumnisse in die
Arbeitslosigkeit getrieben wurde, in die nördlichen Euroländer vertreiben, wo
sie gern aufgenommen würden? Fragen über Fragen, die immer wieder zu der
Forderung nach einem Schuldenschnitt führen. Auch wenn sich bisher die
Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat: Ohne einen Schuldenschnitt (Englisch:
„haircut“), d.h. ohne den Verzicht der öffentlichen und privaten Gläubiger
gegenüber Griechenland, bei gleichzeitiger, kontrollierter Durchsetzung von
Reformen in Griechenland ist die (Er)Lösung von der griechischen Tragödie nicht
möglich. Als stärkste Wirtschaftsmacht in der Eurozone ist hier Deutschland,
das bisher den europäischen Gedanken besonders unterstützt hat, auch besonders
gefordert.
Schade und unfair war es, dass nicht alle Fakten in
den vergangenen Wochen genannt wurden. Insbesondere die deutsche Seite hat
Einiges schlecht kommuniziert, z.B. dass Wolfgang Schäuble, ein Schwabe und
deutscher Finanzminister, häufig als
böser Bube (oder noch schlimmer)
betitelt, erst vor wenigen Jahren mit Mühe die sogenannte Schuldenbremse durchgesetzt
hat. Sie bedeutet, dass es in Deutschland dem Bund und den einzelnen Ländern
gesetzlich verboten ist, in „normalen Zeiten“ Schulden zu machen. In
Deutschland hat es Schäuble auch erreicht, dass 2015 erstmals keine neuen
Schulden im Staatshaushalt des Bundes („Schwarze Null“) gemacht wurden. Er mag
sich vielleicht sogar noch vage an seinen Vorgänger, den Bundesfinanzminister
Fritz Schäffer erinnern, der in den 1950er Jahren einen “Julius-Turm“[2],
die thesaurierten Überschüsse des Bundeshaushaltes“ (8 Milliarden D-Mark = ca. 35 Milliarden Euro heute), zusammensparte.- Ein
noch Wichtigeres kommt hinzu: Die fortdauernde Sorge im Langzeitgedächtnis der
Deutschen, dass es wieder eine Inflation – wie in den 1920er Jahren - geben
könnte. Die Regierung Helmut Kohl hatte sich aus politischen Gründen (um die
europäische Einigung voranzutreiben) von
der D-Mark getrennt und die gemeinsame europäische Währung, den Euro, zusammen
mit anderen Ländern im Jahre 2002 eingeführt. Bis heute trauern viele Deutsche
der damaligen, stabilen D-Mark nach. Das sind wichtige (Hinter)Gründe, warum
Schäuble und Merkel so hart mit den Griechen verhandelten. Viele Regierungen,
auch die konservative britische, sind
gegenwärtig mit der Konsolidierung ihrer Haushalte beschäftigt. Die hohe Kunst
besteht darin, die Schulden abzubauen und die Wirtschaft zu fördern, ohne dabei
politische und soziale Verwerfungen zu produzieren.
Fast völlig ausgeblendet wurde in der bisherigen
deutschen Diskussion, dass Westdeutschland nach 1945 umfangreiche Hilfe
insbesondere von den USA erhielt und wie die alte, reiche Bundesrepublik der
maroden Wirtschaft der neuen, aber armen Bundesländer ab 1990 ganz massive
finanzielle und personelle Hilfe gewährte. Erst auf diese Weise konnten in den
vergangenen 25 Jahren zwar keine „blühenden Landschaften“, aber eine
weitgehende Gesundung der ostdeutschen Wirtschaft mit moderner materieller und
institutioneller Infrastruktur erreicht werden. Insofern sollten bei den
künftigen Verhandlungen mit der griechischen Regierung auch die deutschen
Erfahrungen mit einer Transfer-Union im europäischen Rahmen eingebracht werden.
Es geht auch, aber eben nicht nur um den Euro.
Angesichts so vieler Probleme, die in Europa zu
lösen sind – Süd-Nord-Migration, eigene demographische Entwicklung,
Umweltprobleme, Ukraine-Konflikt - , muss sich Europa auf den alten
Erfahrungssatz besinnen: Nur Einigkeit macht stark. Es geht um das gemeinsame,
auch von Griechenland mit erbaute europäische Haus.
22.07.2015/EH
[1] Daten
zur griechischen Staatsschuldenkrise bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Staatsschuldenkrise
[2] Zum
„Julius-Turm“, nach Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel genannt, in
Berlin-Spandau vgl. Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Juliusturm