Die Sommerpause
geht zu Ende, die Geschwindigkeit auf dieser Erde nimmt wieder zu. Deshalb ein innehaltender
Rückblick: Wir haben einen sogenannten mächtigsten Mann der Welt, den
amerikanischen Wirrkopf als Präsidenten, der das Establishment seines Landes
stürzen wollte und inzwischen von einem General mühsam zur Ordnung gerufen
wurde. Wir haben eine britische Regierung, deren Premierministerin aus
demokratischer Gesinnung (dem Brexit-Referendum des Vorjahres gehorchend) ihr Land
von ein paar ultrakonservativen nordirischen Abgeordneten abhängig gemacht hat
und nun zwischen Pragmatikern, darunter ihrem eigenen Finanzminister, und
Brexit-Anhängern ihrer Partei, ihrem wirren Außenminister, hin und her pendelt.
Dann gibt es den Charmeur unter den Europa-Freunden, den neuen dynamischen
Präsidenten Frankreichs, der als Hoffnungsträger aller reformwilligen Europäer (und
Franzosen) auftritt. Und dann haben wir noch zwei müde deutsche Wahlkämpfer,
die in ihrer Einfallslosigkeit und Sattheit den deutschen Michel gut
widerspiegeln. Und nur so „nebenbei“: Die Flüchtlingsströme und deren Ursachen
sind immer noch nicht beendet, die Spreizungen zwischen Arm und Reich nehmen
weiter zu. Ein atomarer Konfliktherd in Asien besteht nach wie vor. Eine
Vorstellung, wie man den Verführungen junger Menschen zum islamistisch
geprägten Terrorismus begegnen kann, gibt es auf westlich-christlicher Seite
auch noch nicht. Von den sichtbaren Folgen der menschengemachten Klimaveränderungen,
die der leugnende amerikanische Präsident sich jüngst selbst ansehen musste,
ganz zu schweigen. Bei all diesen Problemen darf man eigentlich nur zweifelnder
Optimist sein und muss man sich auf die Seite der kritischen Denker und Lenker
schlagen…
Als Deutscher,
der die Welt (wie im Frühjahr Süd- und Mittelamerika) bereist und von der Insel
aus beobachtet, war ich zunächst sehr enttäuscht von dem Ausgang des britischen
Referendums. Wo war der sprichwörtliche britische Common Sense geblieben? Hatte
sich Traditionsbewusstsein mit unterschiedlichsten ökonomischen Egoismen
tatsächlich mit einer Inselmentalität verbunden – gegen Weltoffenheit und
Einsicht, dass nur Einigkeit in einer immer diffuser werdenden Welt stark
macht? Tausend und mehr Fragen werden seit dem Entscheid einer knappen Mehrheit
– gegen die Jungen und die Klugen, die die Minderheit bildeten und die Folgen
zu (er)tragen haben werden – in der Öffentlichkeit diskutiert.
Darüber möchte
ich nicht persönliche Verluste vergessen: Dazu zählt der Tod meines väterlichen
Freundes Theodor Bergmann, der im 101. Lebensjahr sein Leben als weltoffener Sozialist,
jüdischer Deutscher und Zeitzeuge in Stuttgart beendete; vgl. die Würdigungen: https://www.rosalux.de/news/id/37448/ohne-widerspruch-kein-fortschritt/
Einen Gewinn
dagegen bedeutete die Lektüre der Autobiographie des immer unbequemen
Dichter-Sängers Wolf Biermann, „Warte nicht auf bessre Zeiten“. Sie stellt eine
wahrlich aufregende Zeitreise durch die jüngste deutsche Geschichte dar –
zwischen Ost und West. Sie ist sowohl Ausdruck egozentrischer Details der
Kultur in Deutschland als auch Denkmal kritischer Freundschaften, wie sie sich vor
und nach Biermanns Ausbürgerung von 1976 entwickelten, die sowohl den
Lebensnerv dieses Heine-Nachfolgers als auch letztlich den der bieder-verstockten
DDR-Oberen traf. Zusammen mit den abgedruckten Gedichten zeigt Biermanns Lebensgeschichte
den deutschen Fluss der Geschichte mit seinen oft schmutzigen Mäandern, aber
dies nicht ohne Witz und Selbstironie. Seine Begegnung mit der französischen
Kultur war dabei hilfreich.
Nachdem ich nun
die Welt erklärt habe, kommt zum Abschluss ein Lob an alle Lernbegierigen und
Aufklärenden, insbesondere an die Bibliothekare und Bibliothekarinnen der
Universitätsbibliothek Leipzig: Gratulation zu der Auszeichnung als „Bibliothek
des Jahres 2017“! Zwölf Jahre sind es her, seitdem ich diesen sächsischen
Wissensspeicher verlassen habe – am Anfang der IT-Revolution. Schauen Sie
selbst, wie sich die UBL zu dieser international wirkenden Leipziger
Institution weiterentwickelt hat: “Digital autonom, frei zugänglich und
innovationsstark!“
30.08.2017
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