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Donnerstag, 21. Mai 2020

Nicht aufgeben! Don’t give up!

Mit dem nachfolgenden und geplanten weiteren Beiträgen bitte ich ausdrücklich um Eure Kommentare. 
Sie haben unterschiedliche Verfasser. Gemeinsam haben sie die Sorge um Menschen, Tiere und unsere Umwelt. Zusätzlich zu den vielen ungelösten politischen Konflikten, deren tausendfachen Opfern und Massenwanderungen von Süd nach Nord ist eine Pandemie ausgebrochen. Das Sterben der Menschen geht uns alle weltweit direkt an. 
Die dynamische Statistik (s.u. Link), die in der aktuellen BBC-Meldung über die Covid-19-Pandemie enthalten ist, zeigt das erschreckende Versagen der politischen Führer, auch beim Zwang zu kooperativen Handeln:
Über das Artensterben in der Tierwelt wird ebenfalls laufend berichtet. Was aber passiert – nur ab und zu berichten die Medien über Waldbrände – mit den Wäldern und deren Sterben vor unserer Haustür? Darüber schreibt ganz konkret von der Naturwissenschaftler Bernd Reuter. 
20.05.2020
Ekkehard Henschke

Die Kulturlandschaft „Wald“ unter den Bedingungen der Klimaänderung
Wie können wir unsere Wälder erhalten?
Bernd Reuter*

Seitdem in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts das Phänomen des Waldsterbens als überwunden galt, nachdem eine Reihe von Maßnahmen zur Luftreinhaltung erfolgreich installiert waren, kommt es nunmehr infolge der Klimaveränderungen zu einer nahezu katastrophalen Vernichtung der Wälder.
Der Wald in Deutschland ist seit der Zeit der Romantik zu einem Sinnbild der Stabilität, der Dauerhaftigkeit und der Stärke sowie einem Symbol der Treue und Unverbrüchlichkeit geworden. Das hat letztlich seine Ursachen nicht nur in der ökonomischen Bedeutung, sondern auch in den vielfältigen ökologischen und sozialen Funktionen des Waldes.
Deshalb ist das Fortbestehen unserer Wälder für viele Menschen nicht nur eine existenzielle Frage – von ebenso großer Bedeutung sind die unverzichtbaren Gunstleistungen, die von den Wäldern für die gesamte Gesellschaft erbracht werden.
Müssen wir uns von unserer über Generationen tradierten Vorstellung vom Wald lösen? Ist der Wald – seine Baumartenzusammensetzung, seine Bewirtschaftung, sein Bild - in Deutschland überhaupt jemals über längere Zeit statisch gewesen oder unterliegen wir möglicherweise einem Trugbild?

Neuartige (klimawandelbedingte) Waldschäden
Die Vegetationsjahre 2018 und 2019 waren zwei deutlich zu trockene und zu warme Jahre. Der Waldzustandsbericht von Sachsen-Anhalt führt aus, dass im Vergleich zur Klimareferenzperiode (KLINO) von 1961 bis 1990 8 von 12 Monaten zu trocken und 11 von 12 Monaten zu warm waren. In Sachsen-Anhalt fielen lediglich 80 % des langjährigen Niederschlags (458 mm/a). Die Mitteltemperatur erreichte 10,8 °C und war damit 2,5 K wärmer gegenüber der KLINO. Der langjährige Erwärmungstrend setzt sich unvermindert fort. Die Niederschläge außerhalb der Vegetationszeit reichten nicht aus, um den pflanzenverfügbaren Bodenwasserspeicher aufzufüllen.
Die durch die Klimaveränderungen – vor allem die Trockenheit der vergangenen drei Jahre und die extremen Stürme – sowie die auftretenden Schädlingskalamitäten verursachten Waldschäden haben bedrohliche Ausmaße angenommen. Wie neuerdings ermittelt wurde, sind in Deutschland 245 000 ha Waldfläche betroffen, die wieder aufgeforstet werden müssen. Diese Fläche ist fast so groß, wie das Saarland!
Als eine der künftig größten Gefahren für den mitteldeutschen Waldbestand ist die latente Waldbrandgefahr anzusehen.
Nicht so sehr infolge mangelnder Winterniederschläge, sondern als Ergebnis der bis zu 3 K gegenüber der Klimaperiode 1961 bis 1990 (KLINO) zu warmen Winter und entsprechend zunehmender Verdunstung beginnt bereits im März/April die Waldbrandgefahr – vor allem in den Gebieten der Altmark sowie der im Nordosten und Osten Sachsen-Anhalts gelegenen Heiden mit leichten Böden und damit geringer natürlicher Feuchtekapazität (nFK).
Laut einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion des Bundestages an die Bundesregierung hat es 2018 ca. 1 700 Mal in deutschen Wäldern gebrannt, im Vorjahreszeitraum dagegen nur rund 400 Mal. 2 300 ha Waldfläche wurden dadurch in nur einem Jahr vernichtet. Die meisten Waldbrände wüteten in Brandenburg mit gut 500. Es folgten Sachsen (rund 200) und Sachsen-Anhalt (rund 180).
In Sachsen-Anhalt wie auch in Thüringen sind nur noch 15 % der Bäume schadfrei. Besonders prekär ist die Lage im Harz. Hier sind flächenhafte Zerstörungen eingetreten und ganze Waldbestände aufgelöst worden. Der Kennwert „mittlere Kronenverlichtung“ als Schadensparameter erreicht nunmehr 26 % aller Bestände; bei den älteren Fichten 43 % und bei den älteren Buchen sogar 49 %. Im Durchschnitt muss von einem Schadensbild der Kronenverlichtung bei den Laubbäumen aller Altersklassen von 37 % in Sachsen-Anhalt ausgegangen werden.

Bisherige Strategien zum Schutz und zum klimaresistenten Umbau unserer Wälder
Fachleute des Instituts für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt/Main warnen in ihrem „South Hesse Oak Project“ (SHOP) bereits vor einer „Versteppung der Wälder“ und diskutieren, mit welchen Strategien man einer klimabedingten Versteppung entgegenwirken kann.
In der Literatur werden mehrere Szenarien besprochen, die gegenwärtig untersucht und erprobt werden:
·       Wälder sich selbst überlassen
·       Wälder räumlich diversifizieren
·       Klimaresistente Baumarten einsetzen.
Eine besondere Gruppe von Bäumen stellen die „vergessenen“ Baumarten dar. Sie waren bei uns immer heimisch und spielten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine bedeutende Rolle. Mit der Einführung der Altersklassenwälder waren sie fast vollständig verdrängt worden. Es handelt sich um den Speierling, die Elsbeere, die Edelkastanie und die Walnuss. Der Speierling (Sorbus domestica) kommt heute in Mitteldeutschland – ebenso wie die Elsbeere (Sorbus torminalis) – nur noch in einzelnen Exemplaren verstreut vor. Die Edelkastanie (Castanea sativa) ist vor allem in der Südpfalz seit der Antike, durch die Römer eingebracht, heimisch (ca. 3 000 ha Waldfläche in den Forstämtern Annweiler und Hardt).  
Speierlingsfrüchte (Arboretum Annarode) (Foto Reuter 2017)

Ein Plädoyer für die historischen Waldbetriebsarten Mittel- und Niederwald
Alle Klimaprognosen legen eine drastische Veränderung im Laufe einer einzigen Baumgeneration nahe (IPCC 2007, zit. bei Finkeldey u.Hattemer, 2010). Die bisher veranlagten langen Umtriebszeiten von z. B. 160-180 Jahren bei Eichen, sind unter diesem Aspekt als obsolet zu betrachten. Die angeführte befürchtete „Versteppung“ unserer Wälder in Richtung der osteuropäischen Waldsteppen würde nicht nur dazu führen, dass bereits die kommende Generation unsere Wälder nicht mehr wiedererkennt. Weiterhin steht zu befürchten, dass eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen mit all ihren ökologischen und ökonomischen Funktionen weitgehend ausfällt.
Daher sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, dass das Waldbild noch vor ca. 100 Jahren auch in Mitteleuropa ein ganz anderes war: auf großen Flächen standen Mittel- und Niederwälder.
Die Abkehr von den historischen Betriebsarten ist also gar nicht so lange her. In der Mitte des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts hat z. B. die Niederwaldwirtschaft in Italien noch 40%, in Frankreich 25%, in Spanien 22%, in Griechenland 18% und in Belgien 16% der Waldflächen eigenommen (Mayer 1992). Im Norden und Nordosten Frankreichs wurden noch im Jahr 2001 knapp 3,5 Millionen Waldfläche als Mittelwald ausgewiesen.
Auch in Deutschland dominierte – unterschiedlich in den einzelnen Regionen – die Niederwaldwirtschaft. So wurden beispielsweise Anfang des 19. Jahrhunderts im Siegerland über 85 % der Gesamtwaldfläche niederwaldartig genutzt (Conrady 1999; zit. bei A. Becker 2002). Alfred Becker stellte fest, dass im Jahr 2000 noch ca. 6.000 bis 7.000 ha Niederwald im Siegerland als genossenschaftlich genutzter „Hauberg“ vorhanden waren.
Aktuell sind in Deutschland 0,4 % der heutigen Waldfläche mit Mittelwald bestockt (BMELV, 2005; Konold et al., 2009). Die flächenmäßig größten, häufig auch wissenschaftlich betreuten Mittelwälder liegen in Franken (5 100 ha, Iphofen, Bad Königshofen) und im Harzvorland. Eine Antwort auf den Klimawandel könnte durchaus das Wiederaufleben von Nieder- und Mittelwald sein.
Der Klimawandel und die damit verbundenen Standortsveränderungen sollten uns veranlassen, aus volkswirtschaftlichen, ökologischen und naturschutzfachlichen Erwägungen die bisherige Position zu überdenken. Für die Neubewertung der historischen Waldbetriebsarten gibt es eine Reihe von Gründen:
>  Kurze Umtriebe machen unabhängiger vom offenbar schnell voranschreitenden Klimawandel
> Stockausschlagfähige Baumarten sind pflegeleicht, bringen rasch Ertrag und erlauben eine kahlschlaglose Dauerbestockung
> Durch kurze Umtriebszeiten kann die Artenzusammensetzung schneller verändert und an Klimaveränderungen angepasst werden. Das bedingt: 
§  Geringe Anfälligkeit gegen Sturmeinwirkung
§  Verringerung der Auswirkungen von Feuerschäden und der Ausbreitung   von Waldbränden; leichtere Beherrschung von Feuern
§  problemloser Einsatz von Ernte- und Rücketechnik
> Mittelwald sorgt durch die Laßreitel für Überschirmung und bessere Ausnutzung des Wasservorrates im Boden (die Unterschicht nutzt oberflächennahe Wasservorräte; die Oberschicht erschließt sich die tieferen Bodenwasservorräte)
> Kleinräumliche Differenzierung der Bestände (Licht-/Schattenwechsel) schafft Artenvielfalt
> Holz ist als dritte Säule der dezentralen Energiewende (Wind-, Solar- und Bio-/Holzenergie) vor allem geeignet für Kraft-Wärmekopplungsanlagen im ländlichen Raum. Bedauerlich, dass die Landespolitik keine wirksamen Maßnahmen unternimmt, um die Energiewende im ländlichen Raum dezentral zu unterstützen.

Durchgewachsener Eichen-Niederwald im NSG Teufelskadrich bei Lorch am Rhein (Foto Reuter 2007)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------* Bernd *Reuter war bis 1992 als Professor an der Universität Halle tätig und arbeitet seitdem als Experte für Stadtökologie und Kulturlandschaftsentwicklung, u.a. für ein EU-Projekt.-
Reuter hat schon 1974 (!) in der DDR auf die Warnungen des sowjetischen Klimaforschers Michail I. Budyko (1920-2001) hingewiesen. Belege für die o.a. Informationen sind erhältlich: kabereuter@t-online.de


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