Mit dem nachfolgenden und geplanten weiteren Beiträgen bitte ich ausdrücklich um Eure
Kommentare.
Sie haben unterschiedliche Verfasser. Gemeinsam haben sie die Sorge
um Menschen, Tiere und unsere Umwelt. Zusätzlich zu den vielen ungelösten politischen
Konflikten, deren tausendfachen Opfern und Massenwanderungen von Süd nach Nord
ist eine Pandemie ausgebrochen. Das Sterben der Menschen geht uns alle weltweit direkt
an.
Die dynamische Statistik (s.u. Link), die in der aktuellen BBC-Meldung über
die Covid-19-Pandemie enthalten ist, zeigt das erschreckende Versagen der
politischen Führer, auch beim Zwang zu kooperativen Handeln:
Über das Artensterben in der Tierwelt wird
ebenfalls laufend berichtet. Was aber passiert – nur ab und zu berichten die
Medien über Waldbrände – mit den Wäldern und deren Sterben vor unserer Haustür?
Darüber schreibt ganz konkret von der Naturwissenschaftler Bernd Reuter.
20.05.2020
Ekkehard Henschke
Die
Kulturlandschaft „Wald“ unter den Bedingungen der Klimaänderung
Wie
können wir unsere Wälder erhalten?
Bernd
Reuter*
Seitdem
in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts das Phänomen des Waldsterbens als
überwunden galt, nachdem eine Reihe von Maßnahmen zur Luftreinhaltung
erfolgreich installiert waren, kommt es nunmehr infolge der Klimaveränderungen
zu einer nahezu katastrophalen Vernichtung der Wälder.
Der
Wald in Deutschland ist seit der Zeit der Romantik zu einem Sinnbild der
Stabilität, der Dauerhaftigkeit und der Stärke sowie einem Symbol der Treue und
Unverbrüchlichkeit geworden. Das hat letztlich seine Ursachen nicht nur in der
ökonomischen Bedeutung, sondern auch in den vielfältigen ökologischen und
sozialen Funktionen des Waldes.
Deshalb
ist das Fortbestehen unserer Wälder für viele Menschen nicht nur eine
existenzielle Frage – von ebenso großer Bedeutung sind die unverzichtbaren
Gunstleistungen, die von den Wäldern für die gesamte Gesellschaft erbracht
werden.
Müssen
wir uns von unserer über Generationen tradierten Vorstellung vom Wald lösen?
Ist der Wald – seine Baumartenzusammensetzung, seine Bewirtschaftung, sein Bild
- in Deutschland überhaupt jemals über längere Zeit statisch gewesen oder
unterliegen wir möglicherweise einem Trugbild?
Neuartige
(klimawandelbedingte) Waldschäden
Die Vegetationsjahre
2018 und 2019 waren zwei deutlich zu trockene und zu warme Jahre. Der
Waldzustandsbericht von Sachsen-Anhalt führt aus, dass im Vergleich zur
Klimareferenzperiode (KLINO) von 1961 bis 1990 8 von 12 Monaten zu trocken und
11 von 12 Monaten zu warm waren. In Sachsen-Anhalt fielen lediglich 80 % des
langjährigen Niederschlags (458 mm/a). Die Mitteltemperatur erreichte 10,8 °C
und war damit 2,5 K wärmer gegenüber der KLINO. Der langjährige Erwärmungstrend
setzt sich unvermindert fort. Die Niederschläge außerhalb der Vegetationszeit
reichten nicht aus, um den pflanzenverfügbaren Bodenwasserspeicher aufzufüllen.
Die durch die
Klimaveränderungen – vor allem die Trockenheit der vergangenen drei Jahre und
die extremen Stürme – sowie die auftretenden Schädlingskalamitäten verursachten
Waldschäden haben bedrohliche Ausmaße angenommen. Wie neuerdings ermittelt
wurde, sind in Deutschland 245 000 ha Waldfläche betroffen, die wieder
aufgeforstet werden müssen. Diese Fläche ist fast so groß, wie das Saarland!
Als eine der künftig
größten Gefahren für den mitteldeutschen Waldbestand ist die latente
Waldbrandgefahr anzusehen.
Nicht so sehr infolge mangelnder
Winterniederschläge, sondern als Ergebnis der bis zu 3 K gegenüber der
Klimaperiode 1961 bis 1990 (KLINO) zu warmen Winter und entsprechend
zunehmender Verdunstung beginnt bereits im März/April die Waldbrandgefahr – vor
allem in den Gebieten der Altmark sowie der im Nordosten und Osten
Sachsen-Anhalts gelegenen Heiden mit leichten Böden und damit geringer
natürlicher Feuchtekapazität (nFK).
Laut einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion
des Bundestages an die Bundesregierung hat es 2018 ca. 1 700 Mal in deutschen
Wäldern gebrannt, im Vorjahreszeitraum dagegen nur rund 400 Mal. 2 300 ha
Waldfläche wurden dadurch in nur einem Jahr vernichtet. Die meisten Waldbrände
wüteten in Brandenburg mit gut 500. Es folgten Sachsen (rund 200) und
Sachsen-Anhalt (rund 180).
In Sachsen-Anhalt wie
auch in Thüringen sind nur noch 15 % der Bäume schadfrei. Besonders prekär ist
die Lage im Harz. Hier sind flächenhafte Zerstörungen eingetreten und ganze
Waldbestände aufgelöst worden. Der Kennwert „mittlere Kronenverlichtung“ als
Schadensparameter erreicht nunmehr 26 % aller Bestände; bei den älteren Fichten
43 % und bei den älteren Buchen sogar 49 %. Im Durchschnitt muss von einem
Schadensbild der Kronenverlichtung bei den Laubbäumen aller Altersklassen von
37 % in Sachsen-Anhalt ausgegangen werden.
Bisherige
Strategien zum Schutz und zum klimaresistenten Umbau unserer Wälder
Fachleute des Instituts für Ökologie, Evolution
und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt/Main warnen in ihrem „South
Hesse Oak Project“ (SHOP) bereits vor einer „Versteppung der Wälder“ und
diskutieren, mit welchen Strategien man einer klimabedingten Versteppung
entgegenwirken kann.
In
der Literatur werden mehrere Szenarien besprochen, die gegenwärtig untersucht
und erprobt werden:
· Wälder sich selbst
überlassen
·
Wälder
räumlich diversifizieren
· Klimaresistente
Baumarten einsetzen.
Eine
besondere Gruppe von Bäumen stellen die „vergessenen“ Baumarten dar. Sie waren
bei uns immer heimisch und spielten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
eine bedeutende Rolle. Mit der Einführung der Altersklassenwälder waren sie
fast vollständig verdrängt worden. Es handelt sich um den Speierling, die
Elsbeere, die Edelkastanie und die Walnuss. Der Speierling (Sorbus domestica)
kommt heute in Mitteldeutschland – ebenso wie die Elsbeere (Sorbus torminalis)
– nur noch in einzelnen Exemplaren verstreut vor. Die Edelkastanie (Castanea
sativa) ist vor allem in der Südpfalz seit der Antike, durch die Römer
eingebracht, heimisch (ca. 3 000 ha Waldfläche in den Forstämtern Annweiler und
Hardt).
Speierlingsfrüchte
(Arboretum Annarode) (Foto Reuter 2017)
Ein Plädoyer für die
historischen Waldbetriebsarten Mittel- und Niederwald
Alle Klimaprognosen
legen eine drastische Veränderung im Laufe einer einzigen Baumgeneration nahe
(IPCC 2007, zit. bei Finkeldey u.Hattemer, 2010). Die bisher veranlagten langen
Umtriebszeiten von z. B. 160-180 Jahren bei Eichen, sind unter diesem Aspekt
als obsolet zu betrachten. Die angeführte befürchtete „Versteppung“ unserer
Wälder in Richtung der osteuropäischen Waldsteppen würde nicht nur dazu führen,
dass bereits die kommende Generation unsere Wälder nicht mehr wiedererkennt.
Weiterhin steht zu befürchten, dass eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen
mit all ihren ökologischen und ökonomischen Funktionen weitgehend ausfällt.
Daher sei an dieser
Stelle in Erinnerung gerufen, dass das Waldbild noch vor ca. 100 Jahren auch in
Mitteleuropa ein ganz anderes war: auf großen Flächen standen Mittel- und
Niederwälder.
Die
Abkehr von den historischen Betriebsarten ist also gar nicht so lange her. In
der Mitte des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts hat z. B. die
Niederwaldwirtschaft in Italien noch 40%, in Frankreich 25%, in Spanien 22%, in
Griechenland 18% und in Belgien 16% der Waldflächen eigenommen (Mayer 1992). Im Norden und Nordosten Frankreichs
wurden noch im Jahr 2001 knapp 3,5 Millionen Waldfläche als Mittelwald
ausgewiesen.
Auch
in Deutschland dominierte – unterschiedlich in den einzelnen Regionen – die
Niederwaldwirtschaft. So wurden beispielsweise Anfang des 19. Jahrhunderts im
Siegerland über 85 % der Gesamtwaldfläche niederwaldartig genutzt (Conrady
1999; zit. bei A. Becker 2002). Alfred Becker stellte fest, dass im Jahr 2000 noch ca.
6.000 bis 7.000 ha Niederwald im Siegerland als genossenschaftlich genutzter
„Hauberg“ vorhanden waren.
Aktuell
sind in Deutschland 0,4 % der heutigen Waldfläche mit Mittelwald bestockt
(BMELV, 2005; Konold et al., 2009). Die flächenmäßig größten, häufig auch
wissenschaftlich betreuten Mittelwälder liegen in Franken (5 100 ha, Iphofen,
Bad Königshofen) und im Harzvorland. Eine Antwort auf den Klimawandel könnte
durchaus das Wiederaufleben von Nieder- und Mittelwald sein.
Der Klimawandel und die
damit verbundenen Standortsveränderungen sollten uns veranlassen, aus
volkswirtschaftlichen, ökologischen und naturschutzfachlichen Erwägungen die
bisherige Position zu überdenken. Für die Neubewertung der historischen
Waldbetriebsarten gibt es eine Reihe von Gründen:
> Kurze Umtriebe machen unabhängiger vom
offenbar schnell voranschreitenden Klimawandel
>
Stockausschlagfähige Baumarten sind pflegeleicht, bringen rasch Ertrag und
erlauben eine kahlschlaglose Dauerbestockung
>
Durch kurze Umtriebszeiten kann die Artenzusammensetzung schneller verändert
und an Klimaveränderungen angepasst werden. Das bedingt:
§ Geringe
Anfälligkeit gegen Sturmeinwirkung
§ Verringerung der
Auswirkungen von Feuerschäden und der Ausbreitung von Waldbränden; leichtere Beherrschung von Feuern
§ problemloser
Einsatz von Ernte- und Rücketechnik
>
Mittelwald sorgt durch die Laßreitel für Überschirmung und bessere Ausnutzung
des Wasservorrates im Boden (die Unterschicht nutzt oberflächennahe
Wasservorräte; die Oberschicht erschließt sich die tieferen Bodenwasservorräte)
>
Kleinräumliche Differenzierung der Bestände (Licht-/Schattenwechsel) schafft
Artenvielfalt
>
Holz ist als dritte Säule der dezentralen Energiewende (Wind-, Solar- und
Bio-/Holzenergie) vor allem geeignet für Kraft-Wärmekopplungsanlagen im
ländlichen Raum. Bedauerlich, dass die Landespolitik keine wirksamen Maßnahmen
unternimmt, um die Energiewende im ländlichen Raum dezentral zu unterstützen.
Durchgewachsener
Eichen-Niederwald im NSG Teufelskadrich bei Lorch am Rhein (Foto Reuter 2007)
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bis 1992 als Professor an der Universität Halle tätig und arbeitet seitdem als
Experte für Stadtökologie und Kulturlandschaftsentwicklung, u.a. für ein EU-Projekt.-
Reuter
hat schon 1974 (!) in der DDR auf die Warnungen des sowjetischen Klimaforschers
Michail I. Budyko (1920-2001) hingewiesen. Belege für die o.a. Informationen
sind erhältlich: kabereuter@t-online.de