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Dienstag, 10. September 2019

Brexit: Machtkampf in London – Regierung gegen Parlament



Seit dem Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, den im Jahre 2016 52 % der wählenden Briten befürworteten, aber immerhin 48 % ablehnten, ist ein Machtkampf zwischen der Exekutive und der Legislative entbrannt. Zur Erinnerung: Die Parteivorsitzende der Konservativen und Premierministerin Theresa May, die in diesen Ämtern bestätigt worden war, konnte ein mühsam mit der EU-Kommission ausgehandeltes Ausstiegsabkommen im Unterhaus nicht durchbringen. Die EU-Staaten hatten es akzeptiert, das britische Unterhaus lehnte es mehrmals ab. Knackpunkt war stets das Bestehen der Mehrheit auf der vollen Rückgewinnung der Souveränität Großbritanniens. Der „Backstop“, die Versicherung, dass Nordirland beim Brexit keine harte Grenze zur Republik Irland haben sollte, war als Problem nicht zu lösen. Darüber stürzte May. Der erzkonservative Abgeordnete und zeitweise Außenminister der Regierung May, Boris Johnson, übernahm die Regierung mit dem ausdrücklichen Versprechen, Großbritannien bis zum 31. Oktober 2019 aus der EU herauszuführen, einen Brexit auch ohne ein Abkommen mit der EU durchzuführen.

Heute, am 09.09.2019, versucht das Unterhaus erneut, eine Lösung zu finden. Es geht um die Neuwahl des Parlaments vor dem 31.Oktober, was eine Zweidrittelmehrheit voraussetzt. Das wäre eine Begründung für die Verschiebung des Austritts, die jedoch von Johnson abgelehnt wird. Die stärkste Opposition, die Labour Party, ist in der Frage des Brexit gespalten. Immerhin konnten sich parteiübergreifend die Parlamentarier auf ein Gesetz einigen, das es Johnson verbietet, ohne ein Abkommen mit der EU den Brexit ab 31.Oktober zu vollziehen.

Die Zeit für eine Einigung läuft heute, am 09.09.2019, aus. Ab Morgen wird das Unterhaus aufgrund einer Anordnung des Premierministers in einer vierwöchigen Parlamentspause sein, also nicht mehr handeln können.
                                        Anzeige im DAILY TELEGRAPH vom 09.09.2019

Inzwischen gibt es auch unter den EU-Regierungen verstärkt den Wunsch, den Austritt Großbritanniens über den 31. Oktober hinaus nicht zu akzeptieren. Im DAILY TELEGRAPH von heute, 09.09.2019, hat die britische Regierung eine ganzseitige Annonce geschaltet, die an Deutlichkeit nicht zu übertreffen ist. Nebenbei bemerkt: Es handelt sich um die große konservative Zeitung, in der Johnson bisher seine entsprechenden Kolumnen gegen ein hohes Salär geschrieben hat. Und noch eins: Vor etwa 400 Jahren kämpfte schon einmal ein Monarch um die Macht mit dem Parlament. König Charles I. löste einen Bürgerkrieg in Großbritannien aus und verlor buchstäblich den Kopf.
Ob Boris Johnson, der zusammen mit seinem Berater Dominic Cummings, ohne Verlust seines Amtes diesen Drahtseilakt durchführen kann, also noch abstürzen wird? Das ist auch eine Schicksalsfrage für die britische Demokratie mit einer machtlosen Königin an der Spitze. Sicher ist schon jetzt der wachsende Schaden für die britische und irische Wirtschaft, aber auch für das britische Gesundheits- und Wissenschaftssystem, alle sind auf den personellen „Blutaustausch“ mit der Europäischen Union angewiesen. Die 27 anderen EU-Staaten verlieren beim Brexit ebenfalls, vor allem den kritischen Partner bei der notwendigen Reform der Union. Der menschliche und politische Schaden bei der Wiederaufrichtung von Grenzen, einer neuen „Splendid Isolation“, ist nicht einmal zu kalkulieren. Ein Brexit ohne Einigung über die Modalitäten wird angesichts der engen Verflechtung Großbritanniens mit der EU jedoch zumindest zeitweise ein Chaos auslösen.
09.09.2019   

Montag, 12. August 2019

Mut fassen, Mut und Druck machen!

Bildergebnis für picasso friedenstaubeMut fassen, Mut und Druck machen!

Ein Appell, der nicht einfach mit dem Argument der Naivität beiseite geschoben werden kann:

An einem Sonntag wie diesem, am 11.08.2019, wanderten die Gedanken zu einer Vielzahl von Dingen. Zu historischen Ereignissen wie dem Berliner Mauerbau am 13. August 1961, den ich seinerzeit an Bord eines Frachtschiffes vor der westafrikanischen Küste erlebte. Was in den folgenden fast dreißig Jahren keiner für möglich gehalten hatte: Im November 1989 fiel diese Mauer – nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland. Menschen in Leipzig und Berlin machten es möglich, weil sie Druck machten.

Meine Gedanken gingen aber vor allem zu einer Vielzahl von Problemen, die wir gegenwärtig weltweit haben und die wir alle gemeinsam lösen müssen. Dazu gehören insbesondere

-        der beängstigend schneller werdender Klimawandel, den furchtsame, korrupte und/oder populistische Politiker geschehen lassen;

-        die vielen akuten oder schwelenden Konflikte, die in Europa (insbesondere Ukraine, EU-Großbritannien), Afrika (insbesondere Sudan, Mali, Jemen), Asien (insbesondere Afghanistan, Syrien, Palästina, Hongkong, Kaschmir) ablaufen, internationale Auswirkungen haben, aber nicht mehr durch Verhandlungen, z.B. im Rahmen der UNO, gelöst werden.  

„Dank“ der schnellen Vermittlung der Details dieser Probleme durch die Medien erleben wir zugleich eine derartige Fülle an Informationen dazu, so dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, sie mental zu verarbeiten. Hinzu kommt der Zweifel an den Möglichkeiten, die Probleme als informierte und mündige Bürger angehen zu können. Die Wissenschaftler haben die Analysen und die Problemlösungen geliefert, aber die politische Elite scheint unfähig zu sein, jenseits des Zyklus‘ von Wahlperioden mittel- und langfristige Lösungen gemeinsam zustande zu bringen.

Statt Resignieren: Mut haben und Druck machen: Zum Glück ist es die junge Generation weltweit, die sich nicht mehr alles gefallen lässt und aufbegehrt. Wir von der älteren Generation werden beschämt, weil wir offensichtlich geschlafen, versagt haben bei der Lösung der o.a. Probleme. Und wir erinnern uns des Versagens unserer Väter und Mütter, die sich nicht dem Nationalsozialismus entgegenstellten. Jetzt ist die mittlere Generation gefordert, die in der Wirtschaft, im politischen und öffentlichen Leben steht. An sie geht der Appell, Druck auf allen unteren, mittleren und oberen Ebenen auf Entscheidungsträger zu machen, um die genannten Bedrohungen abzuwenden. Vor allem die Mitglieder dieser Generation haben - durch Reisen und mediale Kontakte – die Möglichkeiten, Einfluss auch in anderen Ländern zu nehmen – unabhängig von den dortigen politischen Systemen.

Bescheidenheit und Mut praktizieren:Die Überheblichkeit, mit der wir, Westeuropäer und Amerikaner, von der Überlegenheit der freiheitlichen und demokratischen Ordnungen sprachen und heuchlerisch Waffen in Spannungsgebiete lieferten, muss zu den Akten gelegt werden!

12.08.2019

Mittwoch, 24. April 2019

Neuerscheinung: Werner Taesler. Flüchtling in drei Ländern

Als Herausgeber und Autor des umfangreichen Nachwortes habe ich mit dem deutsch-schwedischen Architekten und Sozialisten Werner Taesler (1907-1998) einen Menschen entdeckt, der durch seine Memoiren und Tagebucheintragungen, seine Baupläne und Aquarelle zu den kritischen und zugleich nachdenklichen Persönlichkeiten seiner Zeit gehörte. Taesler zählt zu den wenigen Architekten des Bauhauses, die dessen Anregungen und die Erfahrungen (als Mitarbeiter von Ernst May) in der Sowjetunion in das demokratische Schweden mitbrachten und von dort wiederum eine Fülle von Anregungen für ihr Wirken empfingen. Er wurde als kritischer Sozialist zugleich Vorreiter eines sanften Tourismus in Schweden.
Das Buch (336 Seiten, 39 Abbildungen) erschien im Stuttgarter Verlag Opus Magnum Edition Amici. Die Paperbackausgabe ist für € 19,90 im Einzel- und Versandbuchhandel erhältlich.


Dienstag, 26. Februar 2019

BREXIT: What happens the next day if there‘s no deal?



So lautete der Hauptartikel, der am 23. Februar 2019 im Londoner GUARDIAN erschien. Er hat auch uns in Oxford etwas verstört. Nach den letzten Meldungen aus der Politik vom 25. Februar, also knapp sechs Wochen vor dem offiziellen Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union, lauten die beiden Alternativen: Entweder Hinausschieben um einige Monate oder Ausscheiden ohne eine Vereinbarung. Die britische Premierministerin Theresa May, die einen Vertrag mit der EU ausgehandelt hatte, der vom Parlament abgelehnt worden war, lehnt jedoch eine Verschiebung ab.  
Nach den vielen Auseinandersetzungen der letzten Monate und Wochen, die zwischen der konservativen Premierministerin und dem Parlament, zwischen Konservativen untereinander und Labour-Abgeordneten untereinander tobten, liegen bei allen Beteiligten inzwischen die Nerven bloß. Und jeder Tag bringt neue Verwirrung, so wie gestern, am 25.02., die Ankündigung der Labour-Party, ein zweites Referendum zu unterstützen.
Die Warnschüsse, die von der britischen Wirtschaft und der Wissenschaft kamen, und die Ermahnungen der EU-Spitzenpolitiker haben die Mitglieder des Unterhauses in London nur zu einem geringen Teil beeindruckt. Bleibt der bisherige Common Sense der Briten auf der Strecke? Nach Meinungsumfragen ist die Bevölkerung weiterhin gespalten.
Verschlungen die Wege zu einer Lösung wie jene in dem Gebäude der Blavatnik School of Government Oxford

Was wären die wichtigsten Änderungen für all jene, die nach einem No-Deal-Austritt ab 29. März reisen müssen oder wollen? Der GUARDIAN listete auf:
1.     Führerschein: Die Briten, die mit dem eigenen Auto auf dem Kontinent reisen wollten,  müssten sich ab 30.März einen internationalen Führerschein für € 5,50 kaufen und die Besonderheiten bei Reisen in Frankreich und Portugal beachten. Der britische Führerschein würde nicht mehr akzeptiert.
2.     Europäische Gesundheitsversicherungskarte: Sie würde nicht mehr für die Briten gelten, die künftig eine entsprechende Reiseversicherung kaufen müssten.
3.     Mobilfunk: Mobilfunkgesellschaften schließen für die Briten nicht aus, dass sie wieder Roaminggebühren zahlen müssten, die die EU sukzessive abgeschafft hatte.
4.     Pensionen und Renten: Britische Rentner in der EU müssten sich Sorgen um ihre staatlichen Alterspensionen machen, insbesondere ob diese weiter jährlich angepasst würden. Private, d.h. betriebliche, Ruhegehälter wurden jedoch inzwischen geregelt.
5.     Reisen mit Tieren: Die EU-Passregelung für Tiere würde von teuren Untersuchungen bei jeder Reise auf den Kontinent ersetzt werden.
6.     Visa: Der visafreie Verkehr nach Europa würde enden und könnte von 90-Tage-Visa gegen Zahlung von 52 Pfund ersetzt werden.

      Diese Punkte sind noch relativ harmlos, wenn man bedenkt, welche Probleme sich bereits jetzt in der schwächelnden britischen Wirtschaft zeigen, insbesondere bei der Autoindustrie. Die Verlagerung von Firmensitzen beweist ebenfalls große Unsicherheit. Eine Verstopfung der Häfen, die sich nach Einführung von Zollregularien durch den Rückstau von LKW mit Lebensmitteln und Gütern ergeben würde, hat das britische Transportministerium schon mal durchgespielt. Und was sich an neuer Gewalt in Irland ereignen könnte, davon haben die beiden kleinen Bombenattentate vor einigen Monaten  Vorgeschmack gegeben…
      Angesichts eines weiterhin gespaltenen Landes ist zu fragen, ob es überhaupt eine kurzfristige Lösung geben kann. Und die Erfahrungen der letzten Jahre mit massiven Manipulationen durch Falschinformationen werfen eine grundsätzliche Frage auf, die mittel- und langfristig zu beantworten ist: Dient die heute in der westlichen Welt praktizierte demokratische Verfassung mit Wahlen und Volksbefragungen, die von Populisten und Einflussnehmern verschiedener Couleur und geographischer Herkunft beeinflusst werden (können), noch dem gemeinen Wohl, der Res Publica? Allein zwei aktuelle Beispiele lassen Zweifel aufkommen: Das britische Beispiel einer Selbstlähmung, die das politische System zur Zeit erfährt, und das amerikanische Beispiel eines Präsidenten, der gegen alle wissenschaftlichen Zeugnisse erklärt, dass es den Klimawandel und damit die Gefahr einer zivilisatorischen Selbstzerstörung gar nicht gibt. 

Mittwoch, 21. März 2018

Schicksale und Weisheiten in und aus Europa


18. März 1848 – eine Revolution in Deutschland, die Viele wollten und Wenige verhinderten
In Berlin wurde am 18. März 2018 vor dem Brandenburger Tor an den demokratischen Aufbruch vor 170 Jahren erinnert. Ein Ruhmesblatt in der häufig unrühmlichen deutschen Geschichte: Am 18. März 1848 kapitulierten die Truppen des preußischen Königs vor den aufständischen Demokraten – leider nur vorübergehend.
Berlin: Barrikadenkampf am Alexanderplatz 1848 (s.a. Wikipedia)
Rainer Zunder hat dazu die ausführliche Geschichte im „Blog der Republik“ geschrieben, nicht ohne auf  Volker Schröder hinzuweisen, der unser historisches Gedächtnis immer wieder auffrischt:

Leben zwischen Polen, Deutschland und Schweden

Wie eng die Schicksale vieler Menschen in Europa miteinander verbunden sind, daran erinnert der Chefredakteur der schwedischen Zeitung DAGENS NYHETER im heutigen GUARDIAN unter der Überschrift:
Europe’s past matters today. My grandma’s survival story tells us why:


Ein Deutscher, der sich um die deutsch-polnischen Beziehungen bemüht hatte, war mein Stuttgarter Freund Michael Ogger (1943-2018). Als gebürtiger Preuße wurde er zu einem wahrhaften Schwaben mit einem starken sozialen Gewissen. Dieses trieb ihn an, sich auch für Behinderte, die besonders Benachteiligten, in Polen einzusetzen - durch die Vermittlung von Erholungsurlauben und die Bereitstellung von Fahrrädern aus Deutschland. 
Weisheiten aus Norrköping

Roger Taesler (1939-2018), promovierter Metereologe und Klimaforscher (sein Bestseller von 1972: "Klimadata för Sverige"), Professor an der Königlichen Technischen Hochschule Stockholm, war vor allem  ein lebensfreudiger Familienvater, Freund und Schachpartner (s. Nachrufe in "Svenska Dagbladet" und "Dagens Nyheter" vom 22.03.2018). Wir haben ihn am 09. März 2018 in seiner Heimatstadt Norrköping verabschieden müssen. Er hinterließ uns seine vier praktischen Weisheiten für Gegenwart und Zukunft:

1. "You have to be lying down before you can get up"

2. "Better listen to the string breaking than never span a bow"

3. "It's never too late to give up" 

4. "You never know what’s hiding behind the next bend, but the road goes on."

22.03.2018/Ekkehard Henschke


Donnerstag, 2. November 2017

Irrungen und Wirrungen - von der Insel zum Festland und zurück


Die Reise von Oxford über Berlin und Leipzig zurück nach London und Oxford war in diesem Herbst eine politisch und kulturell besonders an- und aufregende Veranstaltung. Politisch, weil ich überall in Deutschland auf „den“ Brexit angesprochen wurde – und doch nichts Genaueres über die Entscheidungsträger berichten konnte. Schließlich erlebe ich in Großbritannien die unterschiedlichsten Reaktionen und Kommentare in den Medien (Pro Brexit: u.a. The Times, The Daily Telegraph; contra Brexit: The Guardian, I[ndependent]), die schließlich die Uneinigkeit über die Wege zum Verlassen der EU in der britischen Regierung und im Parlament in Westminster widerspiegeln. Eine klare Verhandlungsposition gegenüber den Verhandlungspartnern in Brüssel sieht anders aus. Die Reaktionen der Londoner Finanzwelt ist eindeutig für einen Verbleib in der EU, weil sie den Verlust ihrer globalen Vorrangstellung befürchtet. Ganz ähnlich, aber etwas vorsichtiger äußerte sich kürzlich die Chefökonomin des Industriellenverbandes CBI (weil sie die Stimmung nicht selbst vermiesen wollte) über die Sorgen in den anderen Wirtschaftssektoren des Vereinigten Königreichs. Das Problem Schottland ist fast völlig in den Hintergrund gerückt. Dafür ist – neben der Höhe der offenen Rechnung Großbritanniens - die Sorge um einen möglichen neuen Konflikt in den Vordergrund getreten, wenn Nordirland mit Großbritannien aus der EU ausscheiden und die angrenzende Republik Irland in der Europäischen Union verbleiben wird. In der alten Universitätsstadt Oxford, die seit Jahrhunderten aus allen Ländern qualifizierte Wissenschaftler angezogen hat, befürchtet eine große Mehrheit spätestens 2019 sowohl den Wegzug von EU-Akademikern als auch den Verlust von bisher sprudelnden EU-Forschungsmitteln. Fairerweise muss ich aber auch die kritischen Argumente von nachdenklichen Engländern wiedergeben, die auf die mangelhafte Legitimierung der EU-Bürokratie ebenso verwiesen haben wie auf ihr Unbehagen, das sie über den zunehmenden Verlust der britischen Souveränität innerhalb der EU empfinden. Hoffen wir, dass mit dem französischen Präsidenten Macron die notwendigen Reformen der EU angepackt werden. - Die Deutschen, die ich in Berlin und Leipzig sprach, schüttelten immer wieder den Kopf: Wie kann man nur aus einem so nützlichen gemeinsamen Markt aussteigen wollen? Wie kann eine sonst so vom Common Sense geprägte Nation sich so etwas antun? Ist in den britischen Köpfen nach zwei Weltkriegen die verbindende Idee der europäischen Schicksals- und Friedensgemeinschaft überhaupt angekommen? Vielleicht kommt man beim Grübeln über diese britische Gegenwartsmisere auf die Absurde in den Stücken von Samuel Beckett, dem großen Iren. Oder man versucht es mit der Interpretation der Aufforderung, die ich heute in dem OXFAM-Buchgeschäft in Oxford las: „Take my advice, I’m not using it.“
In der deutschen Universitäts- und Messestadt Leipzig macht man sich zwar auch Gedanken, wie es mit der rechtslastigen Alternative für Deutschland (AfD) weitergehen wird, nachdem sie erst in fast alle Landesparlamente und zuletzt in den Bundestag eingezogen ist. Aber im Gegensatz zu Dresden scheint man in Leipzig viel stärker immun gegenüber Rechts zu sein. In Leipzig blüht neben dem bürgerschaftlichen Engagement, seit 2002 verstärkt durch die Stiftung „Bürger für Leipzig“, eine Vielfalt sozialer und ökologischer Projekte. Und auf künstlerischem Gebiet können die Leipziger sehr gut mit den Dresdenern konkurrieren: So ist neben dem wiederbelebten Ballett unter Mario Schröder, der das Erbe des früh verstorbenen Uwe Scholz 2010 aufnahm, das Gewandhausorchester zu nennen. Es wird – leider mit Verzögerung - im Frühjahr 2018 in dem Letten Andris Nelsons einen würdigen Nachfolger von Riccardo Chailly haben. Der unermüdliche Ehrendirigent Herbert Blomstedt, der seinen 90. Geburtstag feiern konnte, meistert derweil eine große Tournee. Und das MDR-Sinfonieorchester hat bereits seit 2012 mit dem Esten Kristjan Järvi einen kompetenten Dirigenten gefunden. Auch an diesen beiden Beispielen sieht man, welchen – auch musikalischen - Gewinn die Europäische Union mit den baltischen Staaten erlebt.


Last but not least: Ein aktuelles Erlebnis war für mich und viele andere der Tag der Bibliotheken, der dieses Mal am 24. Oktober in Leipzig gefeiert wurde: Die Universitätsbibliothek Leipzig, immerhin schon 1543 gegründet, wurde als „Bibliothek des Jahres 2017“ ausgezeichnet. Als ihr ehemaliger Direktor konnte ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen darüber sehr freuen. Was unter den Schlagwörtern „digital autonom, frei zugänglich und innovationsstark“ so gelobt wurde, ist im Internet ausführlich nachzulesen:  http://www.bibliotheksverband.de/dbv/auszeichnungen/bibliothek-des-jahres/preistraeger/2017.html
Damit ist es dieser ostdeutschen Universitätsbibliothek, die mit ihrem Hauptgebäude, der Bibliotheca Albertina, lange Jahre in der DDR-Zeit ein Kümmerdasein führen musste, gelungen, sich sowohl baulich und technisch als auch organisatorisch als eine der führenden deutschen Bibliotheken zu etablieren.
02.11.2017   
Ekkehard Henschke, Oxford/Berlin